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Meine Meinung

 

Was passiert mit einem Menschen, der hinterrücks bestohlen, bedroht und vergewaltigt wird? Welche Wahrnehmungen, welche Gedanken, welche Emotionen spielen eine Rolle? Was passiert, wenn ein scheinbar liebevoller Mensch eine 380-Grad-Drehung vollführt und zum Bösewicht mutiert?

   Dem 24-jährigen französischen Schriftsteller Édouard Louis ist ebendies passiert. „Im Herzen der Gewalt“ ist ein Tatsachenbericht, ein autobiographischer Roman, der die verhängnisvolle Nacht erzählt, die Louis‘ Leben verändert hat. Der Autor verarbeitet und erzählt in seinem jüngsten Werk die Erfahrungen, die er unglücklicherweise machen musste – mutig, diskret und unbeschönigt!

   Zwei verschiedene Subjekte dienen zum Erzählen der Geschichte: Abwechselnd beichtet der Autor selbst, der auch Protagonist in seinem Bericht ist, und dann Édouard’s Schwester Clara, die ihrem Mann die Erlebnisse erzählt, die sie wiederrum von ihrem Bruder erfahren hat. Diese Balance erschuf Abwechslung und ein stetiges Interesse beim Lesen. Was ebenso sehr positiv war, war die Art, wie Édouard Louis die Tatsachen verarbeitet hat: Verspielt, offen und sehr selbstbewusst. Er hält kein Blatt vor den Mund, zeigt durch sein neues Werk großen Mut, den Angriff, Reda, und auch seine sexuellen Auslebungen offen zu schildern. Allein dieser Aspekt, die gewöhnungsbedürftigen Erzählungen, sind Grund genug, den Autor zu lieben, seine Offenheit und seinen Mut, seine Entschlossenheit, seine eigentlich private und schreckliche Geschichte mit uns zu teilen, zu loben und zu respektieren!

   Bereits zu Beginn ist mir aufgefallen, dass Monsieur Louis sehr oft selbstkritisch ist, sich selbst verurteilt und – besonders im Mittelteil des Buches – seine eigene Vergangenheit prekär wiedergibt und sein Verhalten kritisiert. Auch kritisiert der Autor des Öfteren die Gesellschaft – sei es Politik, die Kultur, die Literatur oder die Weltoffenheit, den Rassismus ganz konkret. Ein großes Thema, welches auch im Zusammenhang mit dem Geschehenen verarbeitet und übermittelt wird, ist die paradoxe Einfachheit der Gewalt. Menschen lassen sich zu leicht beeinflussen, sind zu gutgläubig, zu optimistisch – sehr zum Leidwesen für diejenigen selbst, denn Unschuldige werden dadurch leicht zu Opfern, werden Mittelpunkt von Gewalt, Diebstahl, Intrigen, Terror – wie Monsieur Louis selbst. Ein zudem sehr wichtiger Punkt im autobiographischen Roman des jungen Franzosen ist die Veränderung seines Selbst, die er uns emotional und offen geschildert hat. Wie eine Nacht, ein vielleicht psychisch kranker Mensch oder eine von der Vergangenheit geschundene Person das Leben eines Opfers verändern kann. Édouard war sympathisch, lachte viel, hatte Humor, doch nach der Tat war er labil, hatte stetig Angst, war paranoid.

   Trotz autobiographischem Genre sind Spannungselemente im Roman zu finden, die sich wie einen Krimi lesen lassen: Als Leser hält man die Luft an, hofft auf ein gutes Ende, ist gespannt, wie der Autor aus schlimmen Situationen zu Handeln vermag. Monsieur Louis legte großen Wert auf Dramatik, Sachlichkeit, Literatur und Tempo. Er verweilt nicht lange in Rückblicken seiner konservativen Heimat, verdeutlicht dem Leser durch diese Erzählung sein Verhalten und seine Art zu handeln. Er sieht sich in sich selbst nicht den perfekten Menschen, was ihn aber umso sympathischer macht. Sehr beeindrucken finde ich, dass Louis trotz seiner erst 24 Jahre eine enorme Wortgewandtheit besitzt und durch seinen verspielten und lässigen Schreibstil Dramatik und stetige Neugier hervorrufen kann. Ich bin begeistert von dem Roman und dem Autor selbst!

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Fazit

 

Ein mutiger autobiographischer Roman über eine dramatische Nacht, die nicht nur den Autor, sondern auch seine Sicht auf Dinge verändert und komplett umgekrempelt hat. Sprachgewaltig, wortgewandt, selbst- wie auch gesellschaftskritisch. Eine Explosion aus Eindrücken und Emotionen – verstörend, emotional und äußerst empfehlenswert! Ich schätze Édouard Louis für seine Offenheit und seine hochwertigen, literarischen Fähigkeiten!

Das Buch

 

Titel: Im Herzen der Gewalt

Autor: Édouard Louis

Verlag: S. Fischer

Seitenzahl: 214

Format: Hardcover

ISBN: 978-3-10-397242-9

Preis: 20,00 €

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von Daniel

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Vielen Dank an S. Fischer für das Rezensionsexemplar!

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www.fischerverlage.de

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